Maßvoll – über zu viel und zu wenig

Ich hatte in letzter Zeit das Gefühl, dass mir das rechte Maß abhanden gekommen ist. Um mich herum heißt es „Du hast zu viel gearbeitet“, „zu wenig Urlaub gemacht“, „zu wenig Nein gesagt“, „zu viel geraucht“, „zu wenig geschlafen“, „zu viel gefeiert“, „zu wenig Zeit gehabt“, „zu viel Sport getrieben“, „Du solltest/müsstest mehr…“.

Wann ist mir das normale Maß verloren gegangen und wer legt das eigentlich fest? Ab wann tut man etwas zu viel oder zu wenig und was wäre denn normal?

Die kurze Onlinerecherche definiert „normal“wie folgt:

Suchergebnisse: nor·ma̱l (Adjektiv)
1 so, wie es allgemein üblich oder gewöhnlich ist oder als üblich und gewöhnlich gesehen wird.
2 geistig und körperlich gesund

Allgemein üblich oder gewöhnlich bzw. als üblich angesehen – wie so oft im Leben eine Ansichtssache. Körperlich und geistig gesund – dann sind wir alle unnormal!

Für alle Kettenraucher ist eine Schachtel + x pro Tag normal – alle anderen wären unnormal und keine richtigen Kettenraucher.
Für alle Alkoholiker ist ein gewisser Pegel normal – alle nüchternen Menschen dementsprechend ungewöhnlich.
Alle Extremsportler definieren 30 Minuten Sport pro Woche sicherlich nicht als normal und üblich.

Ja, das mögen extreme Beispiele sein und bewusst habe ich mir Randgruppen herausgegriffen, aber diese oben genannten Personenkreise definieren sich lediglich über ein Merkmal, welches sie von anderen abgrenzt. Abgesehen davon gehen diese Personen in der „normalen“ Masse unter und definieren das Normalmaß mit.

Sicherlich ist zu viel Alkohol, zu viel Arbeit, zu wenig Schlaf, zu viel oder zu wenig Sport nicht gesund und unnormal, aber wenn sich jemand mit drei Gläsern Wein, sechs Stunden Schlaf und gelegentlichen Sport wohl fühlt, dann ist er doch normal. Wer sind anderen, die Gesellschaft, sogenannte Experten, die sich ein Urteil über deren Normalzustand bilden.

Wo ist die verdammte Formel für normal und das richtige Maß? Definiert sich das über einen Zeitraum oder gilt das für das gesamte Leben? Gleicht sich zu viel und zu wenig von irgendetwas irgendwann aus? Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch sein eigenes „normal“ hat und wenn es in den Augen der anderern „zu viel“ oder „zu wenig“ ist, dann ist das deren Problem. Wichtiger ist viel mehr, dass man aufhören sollte sein Übermaß selbst zu sehr zu ver- und beurteilen, indem man sich versucht an der undefinierten Normalität zu bemessen. Und wenn man selber weiß, was zu viel oder zu wenig war, ist man zumindest an seiner Grenze und ist näher an seinem eigenen Normal dran als alle Guten-Ratschläger dieser Welt es je sein werden.

Paracelsus wird das Zitat „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“ zugesprochen. Ich finde das sehr schön, was der Mediziner und Philosoph lange Zeit vor uns festgestellt hat. Zu viel oder zu wenig definiert jeder für sich selber und wenn man feststellt, dass man es übertrieben hat, sollte man schleunigst wieder zur eigenen Balance finden, aber richtig giftig wäre es, sich an dem normalen Maß zu orientieren, denn das kann am Ende die tödliche Dosis für einen selbst sein.

In diesem Sinne: ich mache mir jetzt eine Zigarette an, trinke noch ein Glas Wein, werde morgen früh etwas Sport betreiben und trotz Zwangspause irgendwie arbeiten – vorallem an mir selber und mein Normal suchen.

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